Samstag, 24. Januar 2009
 
Frankreich: Alte Saatgutsorten auf der Anklagebank PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Heike Schiebeck, Longo maï/akin   
Donnerstag, 14. Juni 2007

Der Verein Kokopelli in Frankreich setzt sich, wie Arche Noah in Oesterreich, seit vielen Jahren für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt ein. Während ähnliche Vereine in anderen europäischen Ländern geduldet werden oder sogar staatliche Unterstützung geniessen, wurde Kokopelli wegen Verkauf von nicht eingetragenen Saatgutsorten zu einer Geldstrafe von 20.000,- Euro verurteilt.

Kokopelli ist bei den Hopi-Indianern, die in den trockenen Gebieten Arizonas und Neu-Mexikos leben, ein Symbol für das Keimen und die Fruchtbarkeit. Die Silhouette des buckligen Flötenspielers wurde in Nord- und Südamerika seit Jahrhunderten auf Steinen und Tongefässen abgebildet. Der Legende zufolge enthält der Buckel Kokopellis einen Sack mit Samen, die er in alle Winde sät. Auf der Flöte haucht Kokopelli den Samen seinen Geist ein.

Der Verein Kokopelli mit 5.500 Mitgliedern erzeugt und verbreitet mehr als 2.000 Landsorten Gemüse, Getreide, Kräuter und Blumen. Kokopelli organisiert Ausbildungskurse, publiziert jedes Jahr ein Handbuch für Samengärtnerei, unterhält Saatgutbörsen und unterstützt zahlreiche bäuerliche Initiativen weltweit. Die SaatguterhalterInnen von Kokopelli vermehren auf ihren Feldern zahlreiche Pflanzensorten für den Verkauf. Ein grosser Kreis von GärtnerInnen übernimmt Patenschaften für eine oder mehrere Gemüsesorten und erhält sie in seinen Gärten in situ. Damit leisten alle einen Beitrag zur Bewahrung dieses Saatguts, das nur noch sehr selten angebaut wird, und schützten es vor dem Verschwinden.

Für seine Arbeit wurde Kokopelli im Jahr 2004 ”wegen Vertriebs nicht konformen Saatguts” verklagt, und zwar von der halbstaatlichen Organisation GNIS und der Berufsvertretung der Saatguterzeuger FNPSP. In erster Instanz hat das Gericht Dominique Guillet, den Präsidenten von Kokopelli, im März 2006 von allen Anklagen freigesprochen und die Klage abgewiesen. Im Urteil stützte sich das Gericht auf die EU-Saatgut-Richtlinie 98/95. Absatz 17 dieser Verordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten nämlich Ausnahmeregelungen für die Erhaltung alter Landsorten, sogenannter ”conservation varieties”, zu schaffen. Allerdings hat Frankreich die Richtlinie nur ohne diesen Artikel 17 ratifiziert.

Das Berufungsgericht von Nîmes hat Dominique Guillet jedoch am 22. Dezember 2006 wegen Vertrieb nicht eingetragenen Saatguts verurteilt und dem Verein Kokopelli eine Geldstrafe von insgesamt 20.000,- Euro auferlegt. Nun wird Kokopelli als letzte Instanz in Frankreich das Kassationsgericht anrufen und falls notwendig, den französischen Staat beim europäischen Gerichtshof wegen fehlender Umsetzung der EU-Richtlinie 98/95 verklagen.

Aber das ist nicht der einzige Prozess mit dem sich Kokopelli herumschlagen muss. Der französische Saatguthändler ”Graines Baumaux” hat den Verein wegen unlauterem Wettbewerb verklagt, fordert die Schliessung von Kokopelli und verlangt 50.000,- Euro Schadenersatz. Kokopelli soll dafür bestraft werden, dass er Pflanzensorten nicht in den staatlichen Saatgutkatalog eingetragen hat. Voraussichtlich werden die Gerichtsverhandlungen zu diesem Prozess noch in diesem Jahr stattfinden. Das Urteil von Nîmes hat einen Präzedenzfall geschaffen, der wahrscheinlich weitere Klagen nach sich ziehen wird. Sie könnten Kokopelli finanziell zugrunde richten.

Die Eintragung in das Sortenregister und somit die Legalisierung der alten Landsorten ist aus verschiedenen Gründen unrealistisch. Die Schaffung des französischen Saatgutkataloges im Jahre 1922 und der Beitritt zum zwischenstaatlichen UPOV-Abkommen 1971 haben zum Verschwinden zahlreicher alter Gemüse-, Getreide- und Blumensorten beigetragen. Die überwiegende Zahl der im Katalog eingetragenen Sorten sind heute Hybride, die nicht nachgesät werden können. Tausende alter Sorten sind nicht mehr eingeschrieben oder wurden nie eingetragen und dürfen deshalb nicht verkauft, getauscht oder verschenkt werden. Auch die Schaffung eines Anhangs für Amateursorten zum Saatgutregister im Jahr 1998 brachte keine Verbesserung, da die Landsorten den gleichen Kriterien für Homogenität, Stabilität und Distinktion wie die Handelssorten unterliegen. Alte Sorten haben im Unterschied zu den industriellen Sorten jedoch ihre Fähigkeit bewahrt, sich der Umwelt und dem Klima anzupassen und sind dementsprechend weder homogen noch stabil. Die Saatgutproduzenten müssen aber immer wieder neue Sorten auf den Markt bringen, da sich die Handelssorten nach einigen Jahren erschöpfen. Dann greifen sie auf die Landsorten und deren Artenvielfalt zurück.

Verbotene Brennessel

Ein französischer Produzent von Brennnesseljauche der gleichzeitig ein Buch mit altbekannten Rezepten dafür geschrieben hat mit dem Titel: «Brennnesseljauche und Co.» wurde von der Steuerbehörde behelligt. Sie beschlagnahmte viel Material und bedrohte den Produzenten ernsthaft. Auch dieses Mal berief man sich auf eine neue europäische Direktive, in der die Genehmigung von neuen phytosanitären Produkten gefordert wird. Ein sehr kostenaufwendiges und kompliziertes Verfahren, das im Prinzip für neue chemische Industrieprodukte bestimmt ist. Zum Glück hat sich die Presse der «Brennnesselaffäre» angenommen und sie einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Die massive Unterstützung der Bevölkerung, darunter einige Abgeordnete, hat die Waage wieder ins richtige Lot gebracht: Es wurde ein Zusatz zu den französischen Durchführungsbestimmungen beschlossen, der besagt, dass seit langem bekannte, ungiftige Naturprodukte nicht von der Direktive betroffen sind.
(Quelle: Sylvie Seguin, Longo maï, Archipel 2/2007)

Die Kosten für die Eintragung in den Katalog entsprechen keineswegs der wirtschaftlichen Bedeutung der alten Sorten und übersteigen die Möglichkeiten kleiner Vereine wie Kokopelli. So kostet die Einschreibung einer Getreidesorte beispielsweise 8.000,- Euro für die ersten zehn Jahre. Da die alten Sorten ausserdem sehr zahlreich sind, verhindert diese hohe Gebühr deren Eintragung.

Auch andere Vereine, die sich für biologischen Anbau und gesunde Lebensmittel einsetzen und kleine Verarbeitungs- und Produktionsbetriebe führen wurden in letzter Zeit von den französischen Behörden verklagt. Dazu zählen die HerstellerInnen von Brennnesseljauche (siehe Kasten), von Heilmitteln aus Medizinalpflanzen und eine Tauschbörse für Saatgut und GärtnerInnen, die Gemüse alter Sorten verkaufen. Alle diese Initiativen haben geringe wirtschaftliche Bedeutung und sind keineswegs eine ernsthafte Konkurrenz für weltweit agierende Saatgutproduzenten. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass hier Symbole zerschlagen werden sollen, die das Recht auf eigenständige und gesunde Ernährung verkörpern.

Es besteht die Gefahr, dass sich andere europäische Länder an der Praxis Frankreichs ein Beispiel nehmen. Eine Petition ruft deshalb dazu auf, sich für den freien Zugang zu und die Verbreitung von alten Sorten einzusetzen. Kokopelli bittet um Unterstützung. (DOWNLOAD)


Abkürzungen:
GNIS: Groupement National Interprofessionell de la Semence;
FNPSP: Fédération National des Professionnels de Semences Potagères et Florales;
UPOV: Union internationale pour la Protection des Obtentions Végétables, deutsch: Internationaler Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen


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